Bild: Narrativ

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Lightpaintingfoto Stacheldraht im Kopf
Narrativ - Stacheldraht im Kopf, Lightpaintinfoto aus einer Performance, aufskaliert als Druck, Zülpich 2007

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Das Bild wurde während einer Lightpainting Probesession entworfen. In relativ schneller Abfolge wurden Kompositionen erstellt, die sich zu einer Deutung/Bedeutung zusammenfügen. Dieses Bild gehört zu der Serie Niflungen, das dazugehörige Video heißt Niflungenbass.

Mein Interesse galt den scheinbar „unwillkürlichen“ Projektionen, die uns von klein auf einnehmen und sich oft zu „Anhängseln“, „Narrativen“, oder sogar einengenden „frames“ in unser Bewusstsein einnisten. Unsere Gehirne haben keine Möglichkeit eingehende Projektionen abzustoßen, oder nachträglich hinaus zu werfen. Drin ist drin – das macht sich die Werbung gerne zu Nutze, aber eben auch Indoktrination, oder public relation bzw Propaganda.

Das entstandene Bild bleibt nur kurz zu sehen, bevor es verwischt und ein neuer Bildaufbau kreiert wird.

Der Grundgedanke zu Niflungen greift Geschichtsprojektionen zum römischen Einflusses auf unsere Gesellschaft auf.

Hier in Zülpich, früher genannt Tolbiacum, sind sehr viele Menschen besonders stolz auf die römische Vergangenheit. Kommt es zum Gespräch darüber, fallen immer die gleichen Vokabeln und Sprüche, irgendwann fallen immer die Worte Aquädukt und Badehäuser und den Abschluss bildet oft ein herabsetzender Spruch gegen die eigene kulturelle Entwicklung: …haben die Germanen von den Bäumen geholt. Was hätten wir bloß ohne die Römer gemacht?

Als ich an dieser Performance arbeitete, hatte ich das Thema noch nicht so weit durchdrungen wie heute – 15 Jahre später. Auffällig war für mich damals allerdings, dass solche Gespräche, so unterschiedlich meine zülpicher Gesprächspartner auch gewesen waren, immer gleich abliefen und es sich deshalb sehr wahrscheinlich eher um eine gesellschaftspolitische, aufdoktrinierte Projektion handeln musste mit selbstläuferischem, generativem Charakter, als dass es der Wahrheit entsprechen könnte. Es ist im Grunde eine historische Selbstverleugnung der eigenen kulturellen Werte, die es vor dem kriminellen Einfall von bezahlten Gewalthaufen gegeben haben muss.

Auffällig und wie ein Startschuss für eigene Recherchen gestaltete sich ein Gespräch in einem Biergarten. Nachdem, wie üblich, die Vokabeln Aquädukte und Badehäuser gefallen waren, unterbrach ich den Schwall frevelhaft mit dem Einwurf, die Germanen hatten ja sicher auch ihre eigene Kultur – die Folge war ein wütendes Aufbäumen mehrerer Zülpicher mittleren Alters, es wurde laut, herablassend, der Tisch wackelte und das Bier in den Gläsern schwappte über.

Ich wollte es danach genauer wissen, ohne zum lokalen Geschichtswissenschaftler für römische „was auch immer“ werden zu müssen. Was ich suchte waren Hinweise, Erzählungen und Lieder aus jener Zeit, die mir die Veränderung des gesellschaftlichen Lebens meiner Urahnen näher bringen konnten, nachdem sie gezwungen waren die Spielregeln der Fremdherrschaft zu befolgen. Es ging mir also nicht darum antike Schriftstücke, oder andere Funde aus der Zeit zu begutachten, sondern Gefühlsausdrücke zu finden. Nach unserer schulichen Geschichtsauffassung sollte sich das wohlbefindliche Leben in einer sichereren, komfortableren und reicheren, fortschrittlichen römischen Kultur in überlieferten Geschichten und Liedern manifestiert haben, das war jedenfalls meine Annahme und ebenso auch die allgemeine Überzeugung all derjenigen, mit denen ich über dieses Thema sprechen konnte.

Schon kurze Zeit nach diesem eskalierenden Vorfall im Biergarten, fand ich einen interessanten Artikel von Efodon?, eine Webseite, die sich mit geschichtlichen Begebenheiten und ihren Merkwürdigkeiten beschäftigt. In einem kurzen Aufsatz beschrieb ein Professor die Aufschlüsselung alter Ortsnamen, wie sie in der skandinavischen Thidrekssage benannt werden und sich durch Lautverschiebung geändert haben sollen. Zu seiner großen Überraschung fand er ein Gebiet in Deutschland, wo diese transferierten Ortsnamen tatsächlich verwendet wurden, es ist hauptsächlich der Raum zwischen der Jülicher Börde, Bonn, Koblenz, bis zur Mosel, Trier, der Eifel und ein Teil der Ardennen. Die Saga kennen wir alle unter dem Titel „Das Nibelungenlied“ – es gibt dazu mehrere verschiedene Abschriften. Es gab einerseits sagenumwobene Erzählungen mit Zwergen und Drachen, aber auch Handschriften, die sich eher wie ein nüchterner Polizeibericht lesen lassen. Die Rede ist von Herrn Schaumburg, der auch mehrere Bücher dazu verfasst hat.

Es lag mir fern in die wissenschaftliche Diskussion der verschiedenen Handschriften intensiv einzutauchen, aber alleine der „Aufschrei“ vieler Experten gegen die Thesen von Schaumburg verblüffte mich. Wie wir alle in der Schule gelernt hatten ist das Nibelungenlied eine frühmittelalterliche, vornehmlich fiktive Verserzählung zwischen Worms, Donaugebiet, Island und Ungarn. Schaumburg zeigt aber, dass sich die beschriebenen Räumlichkeiten auf die Eifel bis nach Niedersachsen, Niederrhein und Friesland beziehen, Entfernungen, die mit dem damaligen Transportwesen, nämlich Pferde, in den zu Grunde liegenden Zeiträumen auch möglich waren und es sich damit als einer der wenigen Überlieferungen germanischer Geschichte anbieten kann. Ich las die verschiedenen Abschriften, die nach der derzeitig vereinbarten Chronologie in der Zeit Mitte 6. Jahrhundert bis Ende 7. Jahrhundert angesiedelt wird.

Der letzte Kampf und die größte Schlacht der Römer soll auf den katalaunischen Feldern gegen die Hunnen geschlagen worden sein, im Jahr 452 n.Ch. Das weströmische Imperium bäumte sich nochmal auf, soll danach aber Stück für Stück zerfallen sein, es ist die Zeit der angeblichen „Völkerwanderungen“ – ja, ich bin mittlerweile sehr vorsichtig geworden und übernehme nicht einfach etwas aus Geschichtsbüchern – mit gutem Grund.

Die Niflungen-Sagas setzten also zeitmäßig etwa 100 Jahre später ein. Davon ausgehend, dass Machtstrukturen nicht über Nacht verschwinden, würde ich annehmen, dass noch 2 Generationen nach 452 diese Strukturen Einfluss hatten, freilich mit stetiger Abnahme und erst etwa 80 Jahre nach der pompösen Schlacht sich neue Herrscher etablieren konnten. Vereinzelte, die angeblich so fortschrittliche römische Kultur hochhaltende Inselgemeinschaften mit Gehöften und Wehranlagen sollten sich aber auch noch nach dem Jahr 550 um Colonia/Köln herum befunden haben. Doch in all den Texten, bzw Versen der aufgeschriebenen Lieder taucht nirgends auch nur einmal irgend etwas mit Römern auf, als habe es sie gar nicht gegeben. Merkwürdig.

Damals kam ich zu dem Schluss, dass wir es vornehmlich wohl mehr mit Kulturaneignung zu tun haben, die mit ausländischen, aus den Mittelmeerräumen mitgebrachten Techniken und Ausdrucksweisen, allerdings in wesentlich geringerem Maße, als sich das die Zülpicher vorstellen können, nämlich um Aquädukte und ein paar Badehäuser, ergänzt wurden. Das Narrativ der Römerzeit hat sicher seine wahren Kerne, aber was in unseren Schulen in die kleinen Köpfe darüber hinein projeziert wird, ist Unsinn. Alleine schon die Vorstellung, es hätte sich, wie eine Großnation heutzutage, eine Kultur in ein anderes Land ergossen, ist einfach nur Quatsch. Wie immer ging es den Eroberern um Bodenschätze und damit auch um die Herstellung einer Versorgungsstruktur, die benötigt wurde, um die Schätze zu heben und zu sichern. Stellt man der uns eingetrichterten gängigen Projektion einer überlegenen römischen Kultur einfach mal die Projektion eines antiken, gierigen Großkonzerns mit dem Markennamen Rom gegenüber, so wie wir auch heutzutage das Gebaren von global aufgestellten Großkonzernen in militärisch schwächer aufgestellten Ländern kennen, dann merkt man schnell, welche der beiden wohl zutreffender sein muss.

Die uns „verklickerte“ römische Geschichte ist eine Abmachung zwischen Historikern und aufbauend auf diesen Abmachungen wird alles, was dazu gefunden wird, eingeordnet, alles andere was dem entgegen steht, als Fälschung deklariert, oder gleich entsorgt. Auch das habe ich entdeckt.

Es steht ihnen frei diesen Gedankengang zuzulassen und dann danach zu suchen. Solange Sie aber nur die in uns hinein projezierte römische Kultur zulassen, werden Sie auch nur dazu etwas finden.

Nach meinen letzten Erkenntnissen ist Geschichtswissenschaft recht bodenständig ab Mitte 19. Jahrhundert, aber vernebelt sich dann immer stärker bis zurück ins 17. Jahrhundert. Lückenhaft dokumentiert geht es zurück bis ins 16. Jahrhundert, aber was davor war, wann genau und in welchem Zeitraum, das sind hauptsächlich Vereinbarungen unter Historikern, geschaffen zur Sicherung herrschender Strukturen der Gegenwart. Mit dieser Projektion wird dem Zülpicher vermittelt, er habe die Statik seines kulturellen Erbes von außerhalb geschenkt bekommen.

Lightpaintingfoto Kopf
Kopf, Lightpaintinfoto aus einer Performance, aufskaliert als Druck, Zülpich 2007

Das erste Bild der Serie heißt „Kopf“, das zweite „Narrativ“ mit dem Hinweis, die Punkte selber zu verbinden. Es mag sein, dass Gebräuche, Mode, Waffen früher anderer Art waren, aber die Menschen hatten keine anderen Motive und mit Sicherheit auch die gleichen natürlichen Bedürfnisse wie heute.





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