Brückenbemalung Descamisados
Datum
Brückenbemalung, initiiert von der Galerie Weiße Stadt Köln-Mülheim
Descamisados, Köln Mülheim 1992, Montage von 2 Kleinbildfotos
Sie kommen aus dem Meer nach Europa. Sie haben nichts, nicht mal ein Hemd – Descamisados – die, ohne Hemd. Belächelung war mir sicher, aber das wusste ich vorher. Meist war es wohlwollend: Du meine Güte, Künstler und ihre Phantasien – kann man sich nicht ausdenken.
Kurz vorher hatte ich im Bürgerhaus Mülheim eine Einzelausstellung mit Projektorperformance. Die Ausstellung trug den Titel “Schub”. Ich wusste noch nicht was ich machen werde als schon die Musiker eintrafen. Ihre Klänge halfen mir sehr in diese bestimmte Lightpaintinperformance-Trance zu kommen, die letztlich dann von ganz alleine meine Hände führt. Heraus kamen Gestalten, die aus dem Meer krabbelten. Danach von manchen Ausstellungsbesuchern befragt, antwortete ich , dass es doch klar sein sollte, dass die Armen dieser Welt sich irgendwann auf nach Europa machen werden. “Da müssen sie ja gut schwimmen können”, wurde ich belächelt. Meine spontane Antwort hatte mich selber überrascht, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer hatte ich das Gefühl, dass es genau so kommen wird. Im Atelier arbeitete ich fortan weiter mit meinen Projektoren an Descamisados, aber es stellte sich nichts neues, nichts weiterführendes ein. Die Brückenbemalung kam mir gerade recht, so wollte ich das Thema beenden, es manifestieren – und abhaken. Es gelang nicht, im Gegenteil, Descamisados wurde einer meiner Karten. Das Thema variierte, zum Beispiel in “Die Grasbeißer”, oder “Hol` mal tief Luft”. Ich war nicht glücklich darüber, denn es brachte mich in die Nähe von “Er denkt sich unheimliche Geschichten aus” und “Warum machst du nicht einfach mal einen Comic dazu?” Genau damit hatte ich angefangen, es rollte aber nicht. Außerdem missfiel es mir, dass ich immerzu Männeken malte. Das war weder die Richtung, die ich wollte, noch traf es den Zeitgeist. Nun gut, der Zeitgeist ist modisch und für ernste Sachen zu vernachlässigen. Abstraktere Formen verdichteten sich aber weiterhin zu Wesen, zu irgendwelchen Tieren, zu Milben, Bazillen, zu Kleinstlebewesen – etwa zu Viren? So sehen die Entwürfe jedenfalls heute für mich aus, obwohl wir ja mittlerweile wissen (können), dass es Viren gar nicht gibt und die allgemeine Idee von krank sein ganz offensichtlich andere Gründe haben muss, als das, was von der Pharmaindustrie erzählt wird. Aber 1992/93 glaubte ich das noch alles und mein ständiges Unbehagen in dieser Zeit betraf zunehmend die nicht auszuschließende Erkenntnis, dass ich mit Descamisados gar nicht jene gemalt habe, die der europäischen Ausbeutung entkommen wollten, sondern mich selbst auf der Flucht, alles verloren und nur das nackte Leben rettend.
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