Venedig
Datum
Venedig, Abdruck einer Projektionsfolie aus der Performance Venedig, Lightpainting-Farben auf Papier, 42cm x 29cm, Düren 1995
Es gibt Frauen, die erst im gesetzteren Jugendalter ihre wahre Schönheit ausstrahlen. Selbst sind sie sich, so habe ich es jedenfalls immer erlebt, sehr kritisch gegenüber, was ihr Aussehen betrifft. Da stört sie eine sich eingrabende Lachfalte, dann finden sie ihren Hintern zu fett, oder hadern mit ihrem Busen, Bauch, oder Beinen. Mein Ratschlag in solchen Situationen? Bloß nichts sagen, keine Mine verziehen, alles, wirklich alles kann UND WIRD gegen dich verwendet werden. Nie habe ich allerdings mal erleben dürfen, dass sie mit ihrem Wesen unzufrieden wären, dass vielleicht etwas, nur ein kleine Nuance nicht so wirklich optimal sein könnte, – so ein bisschen.
Carona war genau ein solches Prachtexemplar. Italienerin mit großen, braunen Mandelaugen, Erdbeermund, klassische Oberweite hervorgehoben von ein paar lächerlichen Gramm zuviel, dennoch Taille übergehend in einen wundervollen specky Po mit Übergang zu formschönen Schenkeln, die über geschwungene, richtige Waden und zuckersüssen Fesseln in Schuhgröße 36 ausliefen, schwarzes langes Haar, so schwarz als verstecke sich darin der dunkelblaue Ton mediteraner Nächte. Dass sie Carona hieß, wusste ich lange gar nicht, alle nannten sie Caro.
Wir lernten uns in Karlsruhe kennen und erlagen gleich am ersten Tag unserem Flair. Ausgepowert lag sie in meinem Arm und versuchte mir auf deutsch von ihrem Venedig zu erzählen. Das klappte schon ganz gut, da ich aber kein italienisch spreche, wichen wir gelegentlich auf englisch und französisch aus, wenn die Worte fehlten.
Ich war der glücklichste Mann der Welt, 2 Wochen lang. Leider. Es waren 2 Wochen des puren Lebens. Alles an ihr war so gut, so zart und weich und lieblich und selbst ihre aufbrausenden Eifersuchtsszenen – mindestens eine pro Tag – weil ich einer „Schlampe“ Trinkgeld gegeben hatte und sie dabei auch noch anlächelte, oder einer Freundin den Stuhl zurecht schob – was ich bei ihr ja noch nie getan hätte, irritierten mich nicht. Im Gegenteil, sie war so süß, wenn sie wütend wurde, anfangs.
Durch unser intensives Zusammensein versuchte ich solche Kapriolen unterbewusst aber schon ab der zweiten Woche unserer Beziehung zu vermeiden, gab Trinkgeld und lächelte Caro dabei an, schob einen Stuhl zurecht, ohne dabei aufzustehen. So wurde ich erzogen ohne es zu merken.
Mein großer, grober Fehler passierte am Freitag der zweiten Woche. Ich wollte zum Baumarkt Zeugs kaufen, um eine vom Trödel gekaufte Tiffany-Lampe aufhängen zu können. Ich war schon fast durch die Tür als sie mich noch gerade so festhielt und mit Augenaufschlag anbettelte mitkommen zu dürfen. Eigentlich ist mir das nicht recht, erklärte ich ihr, ich darf nichts vergessen. Es war einfach ein bisschen mehr, denn es musste eine Steckdose gesetzt werden, also auch Putz, Schälchen und Spachtel usw. Nein, bitte, bitte, ich werde dich nicht stören. Jeder geht für sich und wir treffen uns an der Kasse, sagte sie mit ihrem bezaubernden Akzent. So war es dann auch, an der Kasse trafen wir uns, ich hatte mein Zeugs und sie – hatte – eine – Waage.
Wir brachten alles nach Hause, die Waage kam ins Badezimmer und wir gingen aus essen. Sie bestellte sich nur einen Salat – warum nicht? Am nächsten Morgen, ich trank meine erste Tasse Kaffee und blätterte in der Zeitung, sprang sie hocherfreut aus dem Badezimmer: Stell` dir vor, ich bin dümmer geworden, rief sie begeistert, riss mir die Zeitung weg und pflanzte sich auf meinen Schoss. Der Kaffee schwabte eine Ladung über den Tisch, aber wir waren so glücklich. Am nächsten Morgen wiederholte sich das, obwohl sie den Abend zuvor zu ihrem Salat noch das eine und andere bestellt hatte. Super, schallte es aus dem Bad, ich bin schon wieder etwas dümmer geworden, wobei auch diesmal sich mein Kaffee halb entleerte. Am dritten Tag habe ich die Zeitung gar nicht erst geholt und meinen Kaffee direkt ausgetrunken, als sie ins Bad ging. Ja, Maria, hörte ich sie rufen und als sie heraus kam und meinte, sie wäre schon wieder etwas dümmer geworden, dachte ich, jetzt musst du ihr das mal sagen. Caro, das heißt nicht dümmer, sondern dünner, mit n, dünner. Ihre Augen wurden zu Schlitzen und dann prasselte es italienisch auf mich nieder und dann in fast akzentfreiem Deutsch: du denkst also ich bin zu fett, ja, das denkst du? Dabei rannte sie völlig wutentbrand ins Bad, kam mit dem gläsernen Quadrat wieder heraus und knallte mir die Waage vor die Füße, dass sie in tausend Stücke zerbarst. Ich war ziemlich perplex und verließ verunsichert die Wohnung – mein zweiter Fehler. Als ich zurück kam, war sie verschwunden samt aller ihrer Sachen.
Ein paar Wochen später sah ich sie auf der anderen Straßenseite mit einem neuen. Dünner ist sie jedenfalls nicht geworden.