Bar in Toulouse

Datum

Aquarellskizze

Bar, Aquarell mit Stift
Bar in Toulouse, Aquarell mit Stift, Berlin 1979

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Als ich zum ersten Mal in Okzitanien, Frankreich, ankam, hatte ich keinen einzigen Centime mehr in meiner Tasche. Mein Ziel war Bordeaux. Ich hoffte dort Arbeit zu finden und den Winter zu verbringen, vielleicht sogar weiter nach Spanien und Portugal zu ziehen.

Meine Reise hatte in Berlin begonnen, einer Stadt, die in den späten 70ern bereits von Zugereisten geprägt war. Die meisten Menschen, die ich dort traf, schienen Berlin seit Jahren nicht verlassen zu haben. Das machte mich schon ein wenig nachdenklich. Mein kleines Apartment im Wedding war zum Glück sehr günstig und der Winter in Berlin konnte bitterkalt sein. Also beschloss ich, diese Zeit in Südeuropa zu verbringen. mein hart verdientes Geld, größtenteils durch Tagelöhnerei auf Baustellen, reichte gerade um 4 Monate Miete, Strom und Wasser im voraus zu bezahlen und da blieben nur noch 80 DM übrig, aber das Trampen kostete ja nichts.

Vier Tage später erreichte ich das Départements Haute-Garonne und setzte meinen Weg zu Fuß in Richtung Toulouse fort.

Ich ging über die Schwellen einer stillgelegten Eisenbahnstrecke, den Kopf gesenkt, um nicht über irgendetwas zu stolpern. Dabei bemerkte ich erst sehr spät den schwarzen belgischen Schäferhund, der mir möglicherweise schon seit einigen Kilometern gefolgt war. Erst als ich eine Pause einlegte und meine Wasserflasche hervorholte, kam er langsam näher. Ich gab ihm Wasser aus meiner Hand, und von da ab schien er nicht mehr von meiner Seite weichen zu wollen. Er war ein stattlicher Hund, gepflegter als ich und pechschwarz. So vergingen die Tage. Überall, wo wir hinkamen, kannten die Menschen den schwarzen Hund und gaben ihm großzügig etwas zu essen. Über ihn bekam ich auch einen Job bei einem örtlichen Waldbesitzer und hackte fünf Tage lang Holz. Dafür wurden wir beide verpflegt, erhielten ein Nachtlager und täglich umgerechnet 25 DM.

Mit 125 DM in der Tasche erreichte ich schließlich Toulouse. Hier verbrachten wir wundervolle Tage in Parks mit Musikern und vielen jungen Leuten. Die Wochenenden fühlten sich an wie kleine Woodstock-Festivals, geprägt von Lagerfeuern und akustischer Livemusik. In diesen Tagen wurden die Klänge von Gitarren, Bongos, Kongas und gelegentlich wunderbarem Gesang unbekannter Künstler und Künstlerinnen noch selber hergestellt. Irgendwann fragte ich mich, ob wir diesen Ort wohl jemals wieder verlassen werden. „Schwarzer Hund“ hatte mittlerweile sogar einen festen Namen erhalten, wir riefen ihn Paceko, das gefiel ihm.

Gelegentlich konnte ich mein Haushaltsgeld durch Schach und Backgammon etwas aufbessern und das reichte uns vollkommen.

Eines Tages kam der unangenehme Besuch bei einem äußerst unfreundlichen Tierarzt, da Paceko sich einen Schnitt zugezogen hatte, der genäht werden musste. Dies verschlang fast mein gesamtes Erspartes. Zudem hatte ich mich am Fuß verletzt, und so humpelten wir nach dem Tierarztbesuch gemeinsam die Straße hinunter, zu geizig, einen Bus zu nehmen. Dabei kamen wir durch ein merkwürdiges Viertel, das von Arbeitern geprägt, aber an vielen Stellen heruntergekommen wirkte. So bekam die hübsche Bar, auf die wir gerade zugingen, einen besonders einladenden Charakter. Auf ihrem gepflegten Parkplatz glänzten mehrere Autos der gehobenen Mittelklasse. Hier jetzt einen köstlichen Café und eine Gauloises genießen. Ich gönnte mir diesen kleinen Luxus jeden Tag.

Ich schreibe bewusst „Cafe“ mit C, denn der Unterschied zu unserem deutschen Filterkaffee war beachtlich. Heutzutage kann man überall Café Crema bekommen, aber in den 70er Jahren war allein der Genuss von echtem französischem Kaffee eine Reise wert.

Mich wunderte, dass wir die einzigen Gäste am Bartresen waren, bis ich aus einer geschlossenen Tür gelegentlich lautes Stimmengewirr empfing, brüllendes Männerlachen und dann wieder Stille. Ich setzte mich an die Bar, bekam meinen Café und eine Gauloises. Paceko legte sich neben den Barhocker, leckte an seiner Pfote und schlief bald ein. Ich begann, mein Geld zu zählen, leider nur noch wenig mehr als hundert Francs, etwa 40 DM. Der Barkeeper sah das und forderte mich auf Geld in einen pompösen Spielautomaten zu stecken. Ich lehnte ab, aber er ließ das nicht zu, brabbelte in dem Dialekt, den ich mittlerweile zum Teil wenigstens verstehen konnte, dass dies hier eine Spielkneipe sei und wenn ich nicht spielen wollte, dann müsste ich gehen. Mal ruhig mit den Pferden, bedeutete ich ihm, „muss erstmal auf Toilette“ und steuerte die ominöse Türe an. In einer Überreaktion stoppte er mich, zeigte mir eine andere Türe zum WC, den ich aber nur benutzen dürfe, wenn ich hier auch ein Spiel mache. Ich wollte keinen Streit, kein Gezänk, nach den vielen schönen Erlebnissen war so etwas ganz weit entfernt für mich. Ich fühlte mich so richtig mitten in meiner Mitte und alles andere war nicht mehr wirklich wichtig.

Dieser Mitte vierziger Barkeeper hatte es richtig drauf. Er zeigte mir einen Spielchip und verlangte dafür 20 Francs, aber in diesem fürchterlichen Dialekt klang das für mich wie „ein“ France. Ich zog meine paar Scheine heraus und dieser freche Typ, zack, so schnell, so unerwartet, griff sich einen Zwanziger – und nun musste ich dringend, so so dringend und sah noch wie er den Spielchip in das Gerät schmiss und mir dabei zulächelte. Ich fühlte mich übertölpelt, wie ein Verlierer und es ärgerte mich sehr. Als ich die Tür zur Kneipe öffnete mit dem festen Vorsatz diesem Sack den Zwanziger wieder abzunehmen, hielten die Walzen des Spielautomaten gerade an.

Der ganze Automat blinkte, fünf identische Symbole leuchteten – Hauptgewinn: 500 Francs. Ich blieb cool und sagte dem Keeper, er solle mir ruhig große Scheine geben. Er wandte sich ab, als ob ich gar nicht da wäre. Paceko hatte bereits bemerkt, dass etwas nicht stimmte, und wollte nach draußen. Er versuchte tatsächlich, die Türflügel zu öffnen. Der Keeper erklärte, dass der Gewinn nicht meiner sei, da er den Spielchip eingeworfen habe, und ich könnte einen neuen Chip bekommen. Das war mir zu viel, aber ich blieb cool. In solchen Situationen ist es wichtig, sofort Körperkontakt aufzunehmen. Deshalb legte ich meine linke Hand auf seine Schulter und bat ihn einfach nur, mir meine 20 Francs zurückzugeben. Beinahe hätte das auch gereicht, denn er nahm seine große schwarze Börse, aber genau in dem Augenblick ging ein Männerstimmengejohle hinter der Türe los. Das gab ihm wohl den Impuls meine Hand von der Schulter zu schlagen und mich anzuschreien seine Kneipe sofort zu verlassen, oder besser gesagt er hob an und ich watschte ihm eine und staunte selber, wie sehr er nach hinten taumelte, seine Börse dabei verlor und zugleich in seinem schrecklichen Dialekt anfing zu schreien. Ich fand in der Börse 250 France in Scheinen und zeigte sie ihm, eindringlich, er lag dabei halb über einem Tisch und schützte mit beiden Händen theatralisch ängstlich sein Gesicht, da flog die Tür auf, und mehrere Männer in Anzügen versuchten gleichzeitig einzudringen. Einer von ihnen wirbelte sein Butterfly auf und ich packte, automatisch mir der Gefahr bewusst, im Kampfeszorn den Barhocker und rammte ihn in den Anzugknäuel in der Türzarge. Paceko sprang mit einem Satz in die Türöffnung und erwischte eine Hand mit einem Revolver, hatte ich gar nicht gesehen. Wahrscheinlich war Paceko mal ein ausgebildeter Polizeihund gewesen. Jedenfalls landete der Revolver in der Kneipe wobei sich der Schuss löste, aber niemanden verletzte. Ich griff nach dem Eisen und mit vorgehaltener Waffe sammelte ich die Scheine vom Boden, endlich waren sie alle still. Wir traten den Rückzug an. Draußen wollte ich den Revolver entleeren, aber wusste in der Eile nicht wie sich das verdammte Ding öffnen ließ. Ich ballerte einfach die restlichen Patronen in die Reifen der oberen Mittelklasse, schmiss ihn unter ein Auto und dann verschwanden wir humpelnd im Dauerlauf aus dieser grotesken Szenerie.

Wir nahmen Nebenwege, Feldwege, einen Fußpfad der wieder mal auf eine stillgelegte Schiene führte und brachten einige Kilometer Abstand zu uns und den Geschehnissen. Als ich uns in Sicherheit sah, kümmerte ich mich um meinen Knöchel. Ich setzte mich auf die Schiene und sah, dass er dick geworden war. Pacekos Naht hatte gehalten, ein wenig getrocknetes Blut war alles. Er zog seine Pfote langsam zurück, dann setzte er seinen Weg fort. Ich rief ihm zu, „Paceko, ich brauche noch 5 Minuten“, er lief weiter. „Paceko, wer soll dir denn die Fäden ziehen?“ Am Zucken seiner Ohren erkannte ich, dass er mich wohl hörte, aber er lief trotzdem weiter. Bald war von Paceko nichts mehr zu sehen. Eigentlich hatte ich erwartet, dass wir uns wieder treffen würden, aber das geschah nicht. Ich habe ihn nie wieder gesehen und habe Okzitanien einige Tage später Richtung Bordeaux verlassen.





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