Ostern im Venn

Datum

Eifeler Junge
Eifeler Junge, Kleinbildfoto zum Print aufskaliert, Düren 1997

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In den 70igern lag die Hocheifel zu Ostern noch regelmäßig unter einer dicken Schneedecke. Ein Aktivurlaub aus nahe gelegenen Städten zu dieser Zeit in die Eifel war für viele Familien ein kostengünstiges Event, zumal die durchschnittliche Kinderzahl etwa 3 Kinder betrug. Die saisonalen Preise für Hotels und Pensionen zogen dann zwar deutlich an und doch konnte sogar jede Baustellenhilfskraft sich das leisten.

Man möge sich das heute mal vorstellen. Als ungelernter Bauarbeiter eine 4 Zimmerwohnung, 3 Kinder mit Mutter, ein Auto, ein Bausparvertrag, – tatsächlich hatte jeder Arbeiter meines Vaters die durchaus realistische Zielvision vom Eigenheim und die meisten setzten das auch um, ein Urlaub im Sommer – okay, Auslandsflüge waren noch unerschwinglich – aber Nord- und Ostsee, Alpen usw waren die typischen Ziele und einen Kurzurlaub zu Ostern konnte alles mit den üblichen Gehältern zwischen 1000 und 1400 DM/Monat bezahlt werden.

1974, die Scheidung meiner Eltern war gerade durch, nutzte meine Mutter das Angebot ihres neuen Chefs für einen 5-tägigen Urlaub mit allen Kindern ins Hohe Venn. Es war nie ein Spass mit meiner Mutter irgendetwas außerhalb der täglichen Routine zu unternehmen. Alles musste bis ins kleinste Detail besprochen werden, was aber nicht etwa hieß, das ich, oder einer meiner 3 Geschwister dabei irgendetwas mitbereden hätte können. Wir waren nur Zuhörer, wissend aus vielen vergangenen „Unternehmungen“ mit ihr, dass das alles am Ende sowieso anders laufen wird, aber um willkürlichen „erzieherischen Maßnahmen“ auszuweichen, saßen wir still da und ließen uns die unnötigsten Arbeitsaufträge auftragen, damit wir alle den Osterurlaub abgehakt bekämen. Ja, das klingt ein wenig ungerecht, denn eine alleinerziehende Mutter, halbtags berufstätig, zu dieser Zeit war das eher etwas besonderes, mit 4 Kindern muss sich darauf verlassen, dass ihre Brut brav bleibt und tut, was man ihr sagt, aber auch das sollte Grenzen kennen.

Mitte der 70iger, durch Änderung des Scheidungsrechts rollte eine nie vorher gekannte Scheidungswelle über Deutschland hinweg. Die rechtliche Situation der Frauen vor der Novellierung war hahnebüschen, wenn man sich das heute anschaut. Frauen waren noch in den 60igern Menschen zweiter Klasse. Kein Wunder, dass viele endlich Freiheit atmen wollten, das sollte man ihnen nicht zur Last legen. Aber was darauf folgte, war eine familiengrausame Inkompetenz der gesetzgebenden Politiker, die damals doch nur Konzerninteressen verfolgten, anstatt die Scheidungskinder in den Mittelpunkt zu rücken. Für Konzerne entstanden neue Märkte und ausnehmbare Zielgruppen. Alleinerziehende Frauen gehören auch heute noch zur gesellschaftlich schwächsten Gruppe.

Ihre Obrigkeitshörigkeit gegenüber allen sich als wichtig darstellenden Männern, für sie erkennbar an Anzug mit Krawatte, gepflegtem Haarschnitt, teure Schuhe und Mercedes, war grenzenlos. Wenn ihr Chef nicht das Angebot gemacht hätte, wäre sie, wie auch in den vergangenen 14 Jahren, die ich bis dahin mitbekommen hatte, nie auf die Idee gekommen zu Ostern mehrere Tage wegzufahren. Ein Besuch bei ihren Eltern, oder eine Tagesfahrt zum kölner Zoo war eigentlich das übliche, während mein älterer Bruder und ich die anderen Osterferientage seit dem 10. Lebensjahr auf den Baustellen meines Vaters arbeiteten. Das war nicht unüblich zu der Zeit und stiftete dem jungen Manne Identität und Selbstbewusstsein.

Wir wussten, dass wir ihr und ihrem Chef zuliebe mitspielen mussten.

Die Fahrt war schon anstrengend in dem kleinen roten Ford, den mein Vater ihr noch gekauft hatte, kurz bevor er dann von ihr mit der Scheidung konfrontiert wurde. Natürlich verfuhr sie sich, aber das wussten wir ja schon bevor wir eingestiegen sind.
So kamen wir erst nach vielen Stunden in dem ca 60 km entfernten Ziel an. Jetzt ging wieder die Kommandostimme los. Jeder sollte seine Tasche gleich mitnehmen und da mein kleiner 12jähriger Bruder der erste war, der seine Tasche in den Kofferraum gelegt hatte und nun auch der erste sein wollte, der das Kommando auszuführen gedachte, landeten 2 Taschen, meine und die meiner Schwester, im Schneematsch. Herjeh, bekam ich einen Anschiss, denn als mittleres Kind ist man häufig der Eimer für die Aggressionen Erwachsener, viele „Mittelkinder“ kennen das. Natürlich gab ich keine Widerworte, denn das Spiel kannte ich ja gar nicht anders. Ein Verweis, dass ich damit gar nichts zu tuen gehabt habe, hätte die Anschreierei nur verlängert – und sonst gar nichts. Meine völlig ermattete und gereizte Mutter musste durch den Pulk von Pensionsgästen, die sich neugierig wegen der Schreierei am Eingang versammelt hatten. Dabei wackelte sie mit dem Kopf und schimpfte weiter über mich, kommandierte uns am Auto zu bleiben und verschwand in dem großen Fachwerkhaus um unsere Ankunft mitzuteilen.

Das Tageslicht nahm rapide ab und die Temperatur fiel auf -10 Grad, meine 9jährige Schwester fing an zu zittern und zu weinen. Uns taten allen die Ohren weh, aber wir blieben mit unseren Taschen am Auto.

Nach etwa einer Stunde kam eine ältere Frau zu uns, nahm meine Schwester an die Hand und sagte, dass man uns doch nicht einfach hier abstellen kann und dass sie jetzt mit meiner Schwester meine Mutter suchen wird. Ihre Worte machten mein Herz warm und ließen meine Wut in die Erde abfließen. Kurz darauf kam sie wieder und bat uns höflich doch mit ins Haus zu kommen. Hinter großen, dicken Decken, die den Eingangsbereich vor kaltem Zug schützten, war eine verglaste zweite Doppeltür. Sie öffnete gekonnt beide Flügel gleichzeitig und wir traten in einen großen Raum mit Tischen und Bänken, einer wohlwollend nickenden Wirtin hinter einem rustikalen Tresen, an dem viele Gäste standen, die uns alle einen Moment lang neugierig anschauten.

Unsere Mutter saß in einer Eckbank, eingekeilt von drei Anzugmännern. Sie lachten, tranken Erwachsenengetränke und hatten wohl viel Spass. Als sie uns dort stehen sah, rief sie gut gelaunt, dass sie alles klar gemacht hat und dass wir unsere Sachen in unsere Zimmer bringen sollen, jeder Junge bekommt ein eigenes Zimmer und dass du es nur weißt, damit meinte sie jetzt mich alleine und fuhr fort mit gefährlich gepresster Stimme, du wirst dich jetzt zusammennehmen sonst kannst du was erleben. „Wenn ich auch nur eine Spur zu freundlich zu ihm bin“, wandte sie sich an die Anzugmänner, „dann tanzt er mir direkt auf der Nase rum“. Obwohl ich dieses Verbünden mit fremden Erwachsenen doch schon so oft erlebt hatte, beeindruckte es immer noch meine Physiognomie – ich wurde rot vor Scham und der schmächtigste der 3 Bauerntrampel im Anzug sah wohl seine Chance meine Mutter zu beeindrucken und im erzieherischen Ton so etwas wie „… sonst setzt es was“ rauszuhauen. Soso, seit meinem 8. Lebensjahr 3 mal die Woche Judo hätte dieses Würstchen wohl nicht den Hauch einer Chance gehabt mir etwas „zu setzen“, aber ich war mental noch nicht wirklich ein Jugendlicher und auch wenn ich nicht diese Obrigkeitsgläubigkeit meiner Mutter hatte, sah mich mein geistiges Auge immer an unterster Stelle der Basis einer sozialen Pyramide.

Ein wunderschöner Kachelofen verbreitete wohlige Wärme und so standen wir da im warmen Hauch und standen und standen, denn wir wussten ja gar nicht wohin. Mein jüngster Bruder fing schon wieder an zu nörgeln, ihm würden die Ohren abbrennen, aber nur leise zu mir, als ob ich das hätte ändern können. So standen wir unbeachtet in der Nähe der Eingangstüre und warteten.

Die Wirtin nahm sich ein Herz, als sie wohl mit bekam, dass uns die Tischgruppe um meiner Mutter herum keine Notiz mehr schenken wollte. Sie führte uns hoch in den ersten Stock und zeigte meiner Schwester das Zimmer meiner Mutter, in dem sie auch schlafen sollte und wir 3 Brüder wurden auf den Dachboden geführt. Hier waren 4 Kammern abgetrennt mit Feldbetten und jeweils einem dicken Plümo. Das brauchte man hier auch, denn unter dem Dach waren fast Außentemperaturen. Abgedämmte Dächer kamen erst in den 80igern auf. Jeder suchte sich eine Kammer aus und natürlich wollte mein kleiner Bruder die Kammer, die ich mir ausgesucht hatte. Die Wirtin wies mir einfach eine andere Kammer zu und mein kleiner Bruder huschte dazwischen und sagte: zeig` mal, und wollte jetzt diese haben. Okay ich nehme die andere, sagte ich und packte aus. Ich wollte einfach nur schnell wieder ins warme. Kaum war ich fertig lukte der Kopf meines kleinen Bruders herein: ich nehme doch lieber dieses Zimmer. „Nein, geht nicht, ich habe schon alles ausgepackt“. „ich habe doch gesagt, dass ich dieses Zimmer haben will“, ging zum Regal und riss meine Kleider heraus. Da packte ich ihn und schubste ihn unsanft aus dem Zimmer, Türe zu. „das sage ich Mutti“, hörte ich noch.
Ich setzte mich auf das Bett und atmete mehrmals tief ein und aus. Das Plümo entwickelte sogleich eine angenehme Wärme an Oberschenkeln und Arsch. Meine Füsse waren dagegen eisig und leicht taub. Nicht lange und ich hörte Gepolter auf der Holztreppe, die zum Dachboden führte. „Lassen sie mich das machen“, sagte eine sonore Männerstimme. Einen Moment lang verließen mich die Kräfte. Scharf und dumpf klingende schnelle Schritte näherten sich dem Obergeschoss, eine leicht quietschende Tür wurde aufgeschlagen und knallte an die Wand. Ich sprang auf und im nächsten Augenblick packte mich eine Bauernhand am hinteren Kragen und erwischte auch einen Teil meiner Hinterkopfhaare. Dem Schmerz versuchend auszuweichen drehte ich mich automatisch so ein, wie ich es tausende mal im Training geübt hatte. Eine Art Ippon-Seoi-Nage kam dabei heraus und das Würstchen flog durch die offene Türe zurück wo es herkam. Es war tasächlich die Memme, die mir vorhin noch was „setzen“ wollte. Er rappelte sich auf und lief die Treppe hinunter, wobei er auf den Stufen ausrutschte, jedenfalls hörte sich das so an. Schnelle Poltertöne, dann das Quietschen einer Türe, dann Ruhe. Ich stand da wie angewurzelt, lauschend. Mein älterer Bruder kam vorsichtig. Er ist immer vorsichtig. „was war denn los?“, aber als ich nichts antwortete, ging er auch herunter. Man hört sofort, wenn er eine Treppe herunter, oder hinauf geht. Die Schritt-Töne liegen genau im 4 Viertel Takt. Er ist mit seinen 15 Jahren einer der besten Rock-Gitarristen. 1974 gab es in Deutschland kaum welche. Er konnte nicht nur Jimmy Hendrix exakt nachspielen. Jahrelang hatte er uns mit seinem Geklimper genervt, aber dann, es kam irgendwie plötzlich, konnte er wunderbar spielen.

Ich setzte mich wieder auf das Bett und wartete. Mein Herzschlag pochte, meine Füsse taten mir weh. Ich entdeckte ein Haarbüschel auf dem Boden und fühlte meinen Hinterkopf. Etwas Blut färbte Zeige- und Mittelfinger. Ich hob es auf und schaute es mir von Nahem an. Die Türe, weit entfernt im Erdgeschoss, wurde behutsam geöffnet. Ein seichtes Quietchen erzählte mir davon. Souveräne Schritte erklommen das Dachgeschoss, es war der Chef, ein dratiger Mann, 56 Jahre alt, mit 1,85m 5 cm größer als ich. Eines seiner Hobbys war Geräteturnen. An den Ringen hatte ich ihn einmal gesehen und er war beeindruckend, wirbelte rum, kam in den Handstand – auf den Ringen – so etwas werde ich nie können, dachte ich damals. Er bezahlte auch mein Judotraining.

Er sagte – nichts. Mir kamen die Tränen. Er sagte trotzdem nichts.

Fast würde ich sagen, dass er ein wenig Anteil genommen hatte an meinem Leid. Tatsächlich aber kann ich es nicht sagen, was in dem Augenblick und in dieser Situation wirklich gewesen ist. Er sagte lange Zeit nichts, dann sagte er „Freund …“, so wie man die Achtsamkeit einfordert mit „Mein Freund, pass` mal auf“, oder war es eher ein augenzwinkerndes, sportliches „Freund, man schlägt doch keine Bauerntrampel, aber der hat es mal verdient“ ??. Er stand in der Türe, dann senkte er den Kopf als wollte er nachdenken, er schaute mich nochmal an, dann ging er.

„Junger Mann, kommen sie doch herunter, das Essen steht auf dem Tisch“, rief die Wirtin nach oben. Mit sehr gemischten Gefühlen ging ich langsam die Treppe herunter. Ich versuchte dabei den Hölzern keinen Ton zu entlocken, doch knarrten immer wieder mal mittellaute Entspannungsgeräusche.
Als ich mich an einen der noch freien Plätze an zwei zusammengestellten Tischen setzte, zwischen meinem älteren Bruder und einem der Bauerntrampel, schien mich niemand zu beachten. An der einen Kopfseite saß der Chef stilgerecht im Abendanzug, die Serviette im Kragen und rechts von ihm, an der Längsseite meine Mutter, mir schräg gegenüber. Die andere Kopfseite belebte die 12jährige Tochter und links von ihr ihre Mutter, ebenso stilgerecht wie ihr Mann. Die beiden Bauerntrampel und meine Geschwister bewohnten die Längsseiten, alle ganz still. Der „es setzt was“ war nicht da, obwohl sein Gedeck aufgetischt worden war. Meine Mutter nahm die gestärkte stehende Serviette, als ob sie ihren Mund abwischen wollte, hielt dabei inne: „Ich sage dazu jetzt nichts mehr“ und legte die Serviette flach wieder auf den Tisch. Da kam schon die Wirtin und trug auf, so dass uns allen die peinliche Stille weiter erspart blieb. „Einmal hat der Frank mich auch…, erhob mein kleiner Bruder seine Stimme, aber die Chefin unterbrach ihn sofort und fragte mich und meine Geschwister, ob wir denn schon mit ihrer Tochter bekannt wären. So entspann sich ein nettes Gespräch zwischen uns Kindern mit lustigen Einwürfen vom Chef, meine Mutter aber sagte die ganze Zeit nichts mehr bis abgedeckt wurde. Dann kam`s doch noch. „Wir wollen jetzt noch etwas zusammen kegeln, du gehst aber direkt zu Bett, du weißt wohl warum“ Ich war froh, denn mir war ja die ganze Zeit nicht wohl, ich kenne doch meine Mutter. Zu wissen, dass noch eine Strafe erfolgt und alle tuen immer weiter so, als sei alles paletti, ist eine Art Folter für mich. Ich bedankte mich bei allen, verbeugte mich kurz vor dem Chef und seiner Frau, kniepte der Tochter kurz zu und ging die Treppe hoch mit einem zweiten Versuch keine Knarrgeräusche zu verursachen, was wieder nicht gelang. Halb angezogen tauchte ich unter das dicke Plümo und schlief sogleich ein.

Es war so still und mir war so schön warm im Bett, aber ich mußte auf Toilette. Um niemanden zu wecken ging ich lieber auf die eiskalte Toilette im Erdgeschoss. Meine Zahnbürste nahm ich gleich mit, mein Handtuch vergaß ich. Mit nacktem Oberkörper wusch ich mich und setzte mich dann an den warmen Kachelofen. Ich trocknete schnell, zog alles an und war knallwach. Ein Blick von der Haustüre aus zeigte mir einen wunderschönen Sonnenaufgang, es war 6:00 Uhr. Wahrscheinlich ist es für alle anderen gestern spät geworden, die werden wohl erst zwischen 8:00 und 9:00 aufstehen. 3 Stunden für mich.

Die weiße Landschaft und diese wunderbaren,w armen Sonnenfarben packten mich einfach. Ich wollte zunächst nur auf eine Anhöhe für eine bessere Aussicht. So zog ich mit großen Schritten durch den Schnee, der aus der Strasse und dem Bürgersteig eine ebene Fläche gemacht hatte. Ich ging westwärts, denn das war der kürzeste Weg aus dem Tal. In der Morgendämmerung konnte ich eine Hügelkette erkennen. Einmal von der Hauptstraße ab, war bald die Nebenstraße nicht mehr zu erkennen. Teilweise versank ich bis über das Knie im Schnee. Aber die Richtung stimmte und ich beeilte mich um noch etwas vom Sonnenaufgang mitzubekommen. In einem lichten Nadelwald balancierte ich über lange gefällte Baumstämme um nicht wieder in ein Schneeloch zu geraten. Der dadurch häufig verursachte Richtungswechsel war kein Problem, denn die Sonne geht ja im Osten auf und dort liegt auch die Pension. Irgendwann bemerkte ich, dass der Wald düsterer geworden war, obwohl die Bäume gar nicht enger standen. Dann fing es an zu schneien und als ich aus dem Wald herauskam, war von der Sonne nichts, aber auch gar nichts mehr zu sehen. Ich beschloss auf leichterem Weg wieder zurückzukehren, am Wald vorbei, wieder in das Tal zurück. Ich kam viel schneller herunter als ich angenommen hatte und fing deshalb ein wenig an zu zweifeln, ob ich überhaupt die richtige Richtung eingeschlagen hatte. Es setzte ein Schneetreiben ein, da entdeckte ich die relativ frischen Spuren von Skiern. Ich folgte ihnen in der Hoffnung, dass sie bekannte Wege benutzt haben und diese Wege sicher irgendwo ankommen müssen. Mit zunehmender Zeit verwehten Teile der Spur mehr und mehr. Zuerst nur ein paar Meter, dann wieder deutlich sichtbar, aber mit zunehmender Zeit und immer stärkerem Schneefall und Verwehungen immer schlechter erkennbar bis ich sie verloren hatte. Ich behielt die Richtung bei und kam in eine Senke. Wenn der Wind nachließ konnte ich mit einmal seltsame Schmatzgeräusche wahrnehmen. An einer Stelle, von wo aus ich mich neu orientieren wollte, waberte plötzlich der ganze Boden. Jetzt erst wurde mir klar, dass ich mich wahrscheinlich mitten im Hochmoor befinden musste und mir wurde richtig heiß. Etwa 10 Meter vor mir konnte ich so etwas wie eine Spur erkennen. Ein paar Meter weiter unter Herzklopfen auf waberndem Boden erkannte ich die frische Spur mehrerer Wildschweine. Ich sagte mir, dass Wildschweine das Moor kennen werden und wohl genau wissen, wo man hier hintreten darf. Ich beeilte mich um den Verwehungen zu entgehen und setzte einfach alles darauf, dass meine Einschätzung richtig war. Gute 30 Minuten im Laufschritt der Spur von 5 Wildschweinen folgend, über dubioseste Biotope, die den Schnee braun gefärbt hatten – aber was werde ich machen, wenn die 5 Wildschweine plötzlich vor mir stehen? Man könnte lieb gucken und Hi sagen, ich klammere das mal aus, dachte ich. So kam ich tatsächlich wieder aus dem Moor auf festeren Boden. Der Schneefall ließ nach und in der Ferne konnte ich einen Langläufer sehen. So bin ich jetzt in diese Richtung weiter gegangen und nachdem es durch einen kahlen Laubwald ging und ich den dahinterliegenden Hügel erklommen hatte, erblickte ich unverhofft auf unsere Pension. Ich hatte mich komplett verlaufen, bin irgendwie im Kreis gegangen, ohne es zu merken. Ja, jetzt, wo ich die helle Wolkenstelle wieder erkennen konnte, wohinter sich die Sonne verbarg, ist es kein Problem mehr. Die Pension Am Hohen Venn liegt nun mal direkt im Hohen Venn, das wusste ich nicht.





 

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